Dieser Artikel ist zuerst am 04.09.2023 – leicht fachfremd – erschienen in Katjas contentIQ-Blog. Wir freuen uns, dass Katja ihn nun aktualisiert und hierhin umgezogen hat, und er auf My Friday den Rahmen findet, in den er eigentlich gehört.
Du magst es kurz?
Für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, ist wichtig, weil wir Politik, Medien und Gesellschaft zeigen müssen, dass wir die nötigen Veränderungen für den Klimaschutz wollen. Und dass wir viele sind. Wir brauchen nur 3,5 %. Die können wir schaffen. Also: Hingehen!
Am 20. September 2024 ist wieder Klimastreik. In zahllosen Städten werden wieder Menschen auf die Straße gehen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Für politische Maßnahmen, die die Weiterentwicklung der Klimakrise eindämmen, statt sie weiter anzufachen. Für die Einhaltung der Klimaziele, denen sich jede Menge Länder, darunter auch Deutschland und die EU verpflichtet haben. Für die Einhaltung des Klimaschutzgesetzes, das Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral machen soll. Und vor allem für mehr Bewusstsein dafür, dass die Zeit drängt.
Wenn du das hier liest, ist dir wahrscheinlich längst klar, dass wir als Gesellschaft etwas tun müssen. Dass die Politik deutlich mehr tun muss als bisher. Aber wie schaffen wir das?
Hebel für soziale Veränderungen gibt es viele. Mit My Friday haben wir uns zum Ziel gesetzt, all die Hebel, die jede*r einzelne von uns bewegen kann, in konkrete, einfach umsetzbare Tipps zu packen. Um die Sozialen Kipppunkte anzuschieben, die wir brauchen, um die schlimmsten Klima-Kipppunkte zu verhindern.
Zu den einfachsten, aber wirksamsten Hebeln gehört es, das Thema Klimaschutz sichtbar zu machen. Beim Klimastreik. Und deshalb geht es hier einzig und allein darum, warum du dabei sein solltest. Genau du.
Weil friedlicher Widerstand und sozialer Ungehorsam funktionieren.
Und weil sie wirklich Veränderungen anschieben können.
Wenn sie groß genug sind.
Erica Chenoweth ist eine US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, die zu Protestbewegungen und dem (friedlichen und gewalttätigen) Umsturz von Regimen geforscht hat. Und sie hat, gemeinsam mit ihrer Kollegin Maria Stephan, dabei herausgefunden, dass (anders, als sie erwartet hatte) gewaltfreie Proteste großer Bevölkerungsgruppen der erfolgversprechendste Weg sind, um Veränderungen zu erreichen. In den mehreren hundert von ihr untersuchten Fällen zwischen 1900 und 2006 war die Erfolgsquote gewaltfreier Proteste doppelt so hoch wie die von gewalttätigen Revolutionen. Und in den vergangenen 50 Jahren hat sich die Schere immer weiter auseinanderentwickelt. Gewaltfreie Proteste wurden immer mehr und immer erfolgreicher.
Gewaltfreier Protest und ziviler Ungehorsam sind wirkungsvoll und erfolgreich. Kann man in Geschichtsbüchern nachlesen.
Darunter sind historische Ereignisse wie der Arabische Frühling oder das Ende der Apartheid in Südafrika, die in ihrem Kern auf gewaltfreien Protest und zivilen Ungehorsam zurückzuführen sind. Und direkt vor unserer Tür waren es die Montagsdemonstrationen in der DDR, die schließlich zur Öffnung der Mauer und zum Ende des DDR-Regimes führten.
Gewaltfreier Protest wirkt aber nicht nur, es braucht auch weniger Menschen dafür, als man vielleicht denken würde.
Weil es DICH braucht
Neben der Frage nach der Erfolgsquote haben Chenoweth und Stephan auch untersucht, wie groß die „Kritische Masse“ sein muss, ab der Massendemonstrationen und gesellschaftliche Bewegungen erfolgreich sind.
Ihr Ergebnis: 3,5 %.
“There weren’t any campaigns that had failed after they had achieved 3.5% participation during a peak event.”
Klingt nicht nach so furchtbar viel, oder?
Dann rechnen wir mal.
Deutschland hat derzeit eine Bevölkerung von 83,2 Millionen. 3,5 % davon sind 2,9 Millionen.
Beim dritten Globalen Klimastreik, den Fridays for Future organisiert haben, gingen im September 2019 in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße. Um die von Erica Chenoweth berechnete „Kritische Masse“ zusammenzubekommen, brauchen wir also gut doppelt so viel.
Ist nicht so wenig. Vor allem, weil die Größe der Klimademos nach der Pandemie erstmal deutlich abgenommen hat. Aber es ist schaffbar. Wenn alle diejenigen, die den Ernst der Lage begriffen haben, tatsächlich hingehen.
Wenn 2,9 Millionen Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen, haben wir die kritische Masse erreicht. Schaffen wir das?
Denn die zentrale, hoffnungsvolle Botschaft hieraus ist: Um den Wandel hin zu einer lebenswerten, zukunftsfähigen Welt anzustoßen, müssen wir nicht jede*n Einzelne*n überzeugen. Wir müssen radikale Klimaleugner, geldgierige Fossil-Lobbyisten und konservative Auto-Freaks nicht dazu bringen, mit uns auf die Straße zu gehen (Good luck with that… ). Es reicht, wenn wir diejenigen motivieren, die ohnehin schon dahinter stehen. Die nur entweder zu frustriert, zu beschäftigt oder zu abgelenkt sind, um sich bewusst zu machen, dass sie tatsächlich etwas verändern können. Und dass sie wichtig sind.
Demonstrieren ist wie Wählen gehen
Wir alle haben inzwischen verstanden, dass unser einzelnes Kreuz bei einer Wahl zwar isoliert betrachtet keinen großen Unterschied macht, als Teil einer großen Menge aber eine unglaublich wichtige Aufgabe hat. Wählen zu gehen, ist mehr als nur ein Bürgerrecht, sondern zentraler Pfeiler jeder Demokratie.
Mit Demonstrationen ist das nicht viel anders. Die Stimme und Anwesenheit jedes und jeder Einzelnen von uns mag sich genau wie ein Kreuz auf einem Wahlzettel unbedeutend anfühlen. Wenn es bei wenigen hundert Menschen bleibt, verpuffen ihre Stimmen auch oft genauso wie die für eine Splitterpartei, die an der 5-Prozent-Hürde scheitert. Das verändert sich aber, wenn die Bewegung groß wird. Gemeinsam, in einer großen Masse, können wir etwas bewirken. Das haben wir oben gelesen. Aber für die kritische Masse braucht es jede*n Einzelne*n von uns.
Zur Demo gehen ist wie wählen. Gemeinsam können wir etwas bewirken. Aber dafür braucht es jede*n von uns.
Was bewirkt eine große Menge an Demonstrierenden?
Medienaufmerksamkeit
Seit Greta Thunberg im Sommer 2018 mit ihrem „Skolstrejk för klimatet“-Plakat vor dem Schwedischen Reichstag stand, hat es nahezu jeden Freitag irgendwo Klimademos und Streiks gegeben. Auch größer angelegte globale Klimastreiks gab es seitdem bereits einige. Dass nicht jede Demo dabei großes Medieninteresse hervorruft, ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Deshalb braucht es für ein großes Medienecho große Bilder. Bilder von überfüllten Straßen und großen Menschenmassen. Von klar formulierten Forderungen auf Plakaten. Von zahllosen Menschen aller Generationen, die gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten kämpfen.
Politischen Druck
Wenn in Deutschland knapp 3 Millionen Menschen auf die Straße gehen, ist das ein Zeichen, das die Politik immer weniger ignorieren kann. Der Druck, zu reagieren, wird mit jedem*r einzelnen Teilnehmer*in immer größer.
Rückendeckung für Klimaschutz-Politik
Politisch passiert viel zu wenig in Sachen Klimaschutz, keine Frage. Aber ein kleines bisschen passiert ja schon. Beispielsweise sind 2024 zwei Solarpakete und ein neues Gebäudeenergiegesetz in Kraft getreten. Jede Maßnahme für mehr Klimaschutz wird aber von der Opposition (teilweise sogar von den Koalitionspartnern), vor allem aber von den an die Fossilindustrie angedockten Medien gleich mit viel Lärm und Getöse in Grund und Boden geredet. Hierzu einen Kontrapunkt zu setzen und Politik und Medien das Feedback zu geben, dass wir als Bevölkerung MEHR Klimaschutz wollen, ist deshalb unglaublich wichtig.
Lärm. Aufmerksamkeit. Sichtbarkeit.
In meinem Umfeld kenne ich niemanden, der sich keine Sorgen um die Klimakrise macht. Und kaum jemanden, der sich nicht stärkere politische Maßnahmen für mehr Klimaschutz wünscht. Trotzdem lese ich in den Medien fast ausschließlich von denjenigen, die gegen einen angeblichen „Heizungshammer“ wettern und sich über Staus aufregen, die ja nur von mehr Fahrradwegen oder Klimaklebern kommen können. Wir sind viel zu still – Klimaschutz-Gegner sind viel zu laut. Lasst uns das ändern und sichtbar werden. Nicht nur, aber auch beim Klimastreik!
Gemeinschaftsgefühl, Selbstwirksamkeit – und Hoffnung
Als ich 2019 bei meiner ersten Klimademo mit einer großen Menschenmenge durch die Bonner Innenstadt lief, mit tausenden engagierten jungen (und auch ein paar älteren) Menschen um mich herum, die lautstark Climate Justice forderten, so dass die Sprechchöre von den Häuserfronten zurückgeworfen wurden, fühlte ich mich plötzlich voller Hoffnung. Hoffnung, dass wir das doch noch hinbekommen. Dass die Bewegung so stark ist, dass man sie nicht mehr ignorieren kann. Und dass es doch noch jede*r – oder zumindest die mit politischer und wirtschaftlicher Verantwortung – kapieren wird, bevor es zu spät ist.
Gemeinsam durch die Straßen ziehen macht politischen Druck und sorgt für Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Und macht Hoffnung.
Dass fünf Jahre später die Klimakatastrophen nicht mehr zu übersehen sind, man politische Reaktionen darauf aber immer noch mit der Lupe suchen muss, ist frustrierend. Aber aus Frust nichts mehr zu tun, hilft uns auch nicht weiter. Dran bleiben und immer lauter und sichtbarer werden ist das einzige, was etwas verändern kann. Und in einer großen Menschenmenge mitzulaufen, zu sehen und zu spüren, dass man nicht alleine kämpft, macht Mut und gibt Kraft. Je größer die Menge, desto größer die Kraft. Übrigens auch für diejenigen, die nicht dabei sein können, die aber sehen, dass ihre Interessen, Wünsche und Hoffnungen von anderen vertreten werden.
Ok, soviel zu den Gründen, warum du hingehen solltest. Jetzt zur Umsetzung.
Brauchst du ein Plakat?
Erste Antwort: Nein. Hauptsache, du bist dabei.
Zweite Antwort: Wenn du magst und kannst: Sehr gerne! Denn wie gesagt: Medien springen auf Bilder an. Dazu gehören auch Bilder von einfallsreichen, kreativ gestalteten Plakaten mit klaren Aussagen. Je mehr, umso besser.
Wenn du keine Ideen für Sprüche oder Forderungen hast, schau dich mal bei der Klimaschutz-Baustelle, bei FFF Österreich oder FFF Berlin um. Oder browse einfach durch die Google-Bildersuche für Klimaplakate und lass dich inspirieren. Aber wenn du es nicht schaffst oder dich nicht entscheiden kannst, mach dich nicht verrückt und geh einfach ohne.
Darfst du hingehen, wenn du am nächsten Tag in den Urlaub fliegst?
Wenn du Fleisch isst? Jeden Tag mit einem Verbrenner zur Arbeit fährst? Oder deine Mutter auf eine Kreuzfahrt eingeladen hast?
Im Gespräch mit einer Kollegin über diesen Artikel fiel mir auf, dass die Diskussion viel zu häufig in eine „Ganz-oder-gar-nicht“-Richtung verschoben wird. Wer sich für mehr Klimaschutz ausspricht, auf Klimademos geht oder sogar an anderen, radikaleren Protestformen teilnimmt, muss, so scheint es in der öffentlichen Diskussion, selbst einen bis zur Perfektion optimierten CO2-Fußabdruck haben. Auf alles verzichten, was irgendwie klimaschädlich ist. Was für ein Quatsch! Und was für eine gefährliche Sichtweise.
Ja, wir alle müssen unseren Lebensstil überdenken, unsere Mobilität, unsere Ernährung und unser Konsumverhalten auf den Prüfstand stellen. Natürlich ist unser persönlicher CO2-Fußabdruck durchaus wichtig. Aber eine blütenweiße CO2-Weste können wir unmöglich erzielen, solange wir in einer von der Fossilindustrie dominierten Gesellschaft leben. Und vor allem wird klimafreundliches Verhalten nie in die Masse gehen, solange das System bleibt, wie es ist. Damit die Umstellung auf einen klimafreundlichen Lebensstil wirklich für alle realistisch, nachvollziehbar und vor allem sozialverträglich möglich wird, braucht es einen Wandel im System. Braucht es politische Maßnahmen, die klimafreundliches Leben einfacher und für alle bezahlbar machen. Und wer in dieser Diskussion einem Fleischesser oder einer Autofahrerin die Legitimation für den Klimastreik abspricht oder einen Protestierenden kritisiert, weil er in einen Flieger steigt, will keine Lösungen, sondern will spalten, Konflikt säen und konstruktiven, gemeinsamen Wandel verhindern.
Jeder darf auf die Klimademo gehen! Auch Fleischesser, Autofahrerinnen und sogar Fluglotsen.
Andere Methoden zivilen Ungehorsams
Neben Massendemonstrationen hat Erica Chenoweth übrigens auch noch Einfallsreichtum und Kreativität als wichtige Erfolgsfaktoren für Protestbewegungen herausgearbeitet. Unter anderem an diesen Erkenntnissen orientieren sich zum Beispiel Bewegungen wie die Letzte Generation oder Extinction Rebellion. Wenn du deren Protestform nicht zielführend findest: Vielleicht fallen dir ja noch andere kreative Maßnahmen ein, mit denen wir angemessene politische Reaktionen auf die Klimakrise fordern können. Als nächsten Schritt bei der Klimademo mit auf die Straße zu gehen, ist aber auf jeden Fall schon einmal gut investierte Zeit. Und bringt vielleicht auch Ideen, Kontakte oder Inspiration für weitere Schritte.
Was kannst du tun, wenn du nicht zum Klimastreik gehen kannst?
Du hast ausgerechnet am Streik-Freitag Abschlussprüfung oder schreibst eine wichtige Klausur? Du bist krank oder kannst aus anderen Gründen das Haus nicht verlassen? Dein Arbeitgeber gibt dir nicht frei? Oder du hast irgendeinen anderen wichtigen Grund, warum du einfach nicht auf die Straße gehen kannst?
Dann tu was anderes, um den Klimastreik zu unterstützen.
- Mach auf die Klimademo aufmerksam: Auf Social Media, bei deinen Freunden, in deiner Familie.
- Sprich mit anderen darüber, wie doof du es findest, dass du einfach nicht hingehen kannst.
- Hilf Freund*innen, die hingehen wollen, kreative Plakate zu entwerfen.
- Like und teile am Demotag und danach Berichte und Fotos von Demonstrierenden.
- Schreibe Leserbriefe zur Streik-Berichterstattung.
- Unterstütze Fridays for Future oder andere Klimaschutzbewegungen mit einer Spende.
Was du über den Klimastreik hinaus tun kannst, um gegen die Klimakrise zu kämpfen, damit beschäftigen wir uns hier auf My Friday sehr ausführlich. Wenn du nichts davon verpassen möchtest, abonnier gerne unseren Newsletter.
Jetzt erstmal: Den 20. September 2024 dick im Kalender markieren. Plakate basteln. Und vor allem: Freund*innen, Verwandte, Kolleg*innen und Nachbarn motivieren, mitzukommen. Zu mehreren macht es ohnehin mehr Spaß!
Wir schaffen das!
Los geht’s!
Du willst dabei sein, weißt aber noch nicht wo? Bei klima-streik.org findest du alle bislang angemeldeten Demos. Ganz bestimmt auch eine in deiner Nähe.
Headerbild: Mika Baumeister via Unsplash